Längst sind die Zeiten vorbei, in denen für streng gläubige Katholiken die Reise über den Jakobsweg nach Santiago de Compostela eine Pflicht war. Heute wandern die meisten Pilger aus purem Vergnügen auf dem Jakobsweg oder, wenn sie berühmt und ein TV-Star sind, aus Gründen der Selbstdarstellung. Religiöse Gründe spielen heute nur noch für etwa 30 Prozent der Pilger eine Rolle.
Es gibt unterschiedliche Arten, wie man den Jakobsweg angehen kann. Gut, gehen muss man immer. Nein, falsch, man kann auch mit dem Fahrrad fahren oder auf einem Pferd oder Esel reiten. Also ist angehen vielleicht nicht das richtige Wort.
Dennoch, wer nach
Santiago de Compostela in Spanien pilgern möchte, der macht sich Gedanken. Ist der Weg das Ziel? Oder ist die Kathedrale von Santiago de Compostela das Ziel?
Kathedrale von Santiago de Compostela als Ziel
All diejenigen, für die die Kathedrale das Ziel ist, können ohne weiteres in der spanischen Stadt
Sarria starten. Sarria liegt genau 113 Kilometer entfernt von der Endstation des Pilgerwegs, Santiago de Compostela. Man muss sich also nicht überanstrengen, um sein Ziel zu erreichen. Und dennoch ist man ein echter Pilger; hat man das Minimum von 100 Kilometer zu Fuß hinter sich gebracht. So bekommt man im Pilgerbüro in Santiago eine Urkunde, die sogenannte Compostela, ausgehändigt.
Kein Wunder, dass Sarria bei den
Reiseveranstaltern beliebt ist. Ihre Kunden sind leicht zu überzeugen, in diesem Ort loszuwandern, vor allem, wenn sie nur mit leichtem Gepäck pilgern müssen. Die Koffer werden durch die Veranstalter von Unterkunft zu Unterkunft gebracht.
Kein Wunder, das man als Pilger ab Sarria Einsamkeit fast vergeblich sucht.
Der Weg ist das Ziel
Ja, nur fast. Denn auch auf den letzten Etappen des Jakobsweges gibt es noch ruhige Wegabschnitte.
Diejenigen, für die der Jakobsweg das Ziel ist, haben schon viele hundert Kilometer vor Sarria ihre Wanderstiefel geschnürt. Sie ziehen mit Schlapphut, Pilger- oder Wanderstöcken und Trekking-Rucksack durch die spanische Landschaft.
25 Kilometer am Tag schafft man als durchschnittliche Jakobspilger zu Fuß. Startet man an der französisch-spanischen Grenze, so liegen 800 Kilometer Pilgerweg vor den Aspiranten. Und diese 800 Kilometer muss man meistern, bei Wind und Wetter, Sonne und Regen, bergauf und bergab. Das ist nicht ohne!
Egal, zu welcher Gruppe von Pilgern man gehört, einige Verhaltensweisen legt jeder an den Tag.
Stempel
Eine davon ist das sammeln von Stempeln für das Pilgerheft. Die begehrten Stempel gibt es in Kirchen, in Restaurants oder in den Herbergen am Wegesrand. Mindestens ein Stempel pro Tag verlangt die Vorschrift für den Pilgerausweis, auf den letzten 100 Kilometern muss sogar zweimal am Tag gestempelt werden.
Camino Francés
Eine weitere gruppenübergreifende Verhaltensweise ist die Auswahl der Route. Die allermeisten der Jakobspilger wandern am liebsten auf dem
Camino Francés, dem klassischen und berühmtesten von vielen Jakobswegen.
Der Anfang des Camino Francés liegt an den Pyrenäenpässen von
Somport in Frankreich, ungefähr 850 Kilometer von Santiago de Compostela entfernt. Sechs Wochen ist man als normaler Pilger für diese Strecke unterwegs.
Wem die Zeit knapper bemessen ist, der kann auch in
León oder Ponferrada mit dem Pilgern beginnen. Sarria geht nur für diejenigen als Startpunkt, die nicht den Weg als Ziel haben..
Symbole
Das Eisenkreuz in den Montes de León, knapp 200 Kilometer vom Zielort Santiago entfernt, ist eines der Symbole des Jakobsweges. Viele Pilger legen hier ihre Sorgen in Form von Steinen ab.
Gemeinsam
„Buen camino“ – „guten Weg“ – das ist der Pilgergruß auf dem Jakobsweg. Und hierin liegt vielleicht eine der großen Faszination des Jakobsweges: im Gefühl der Gemeinschaft, für das diese beiden Worte stehen. Auf dem Camino hilft jeder dem anderen – und zwar egal, ob der Weg oder die Kathedrale das Ziel ist. Vielleicht ist es gerade dieses Gefühl, das so viele Menschen den Jakobsweg lieben. Fast eine viertel Million Pilger wurden im Jahr 2015 gezählt! der die Massen für den Camino begeistert, allein im vergangenen Jahr waren knapp 238.000 Menschen unterwegs.
Pilgerherbergen
Für fünf bis zehn Euro pro Nacht kann man in den Mehrbettzimmern der
Pilgerherbergen übernachten. Ein Dreigänge Menü mit Wein kostet etwa 10 Euro. In jeder Pilgerherberge darf man nur für eine Nacht bleiben.
Noch ein Ziel: Urkunde wichtiger als die Kathedrale
Auf den letzten 20 bis 10 Kilometern vor Santiago de Compostela ist man auf keinen Fall mehr allein. Und die Spannung steigt. Heute wird man das Ziel erreichen. Aber was ist dieses heutige Ziel?
Endlich! Die Kathedrale von Santiago de Compostela! Nein, nein, erst gibt es wichtigeres zu erledigen. Man braucht – egal, welches Ziel man in den Tagen zuvor verfolgt hatte, die offizielle Bestätigung der Pilgerfahrt. Dafür heißt es: Anstehen – vor dem Pilgerbüro. Aber dann bekommt man sie, die Compostela, die Pilgerurkunde. Und dann, ja dann kann man auch mal in die Kathedrale gehen. .
Andrea
Danke für diesen Beitrag. Wir wohnen in einer vermeintlich so katholisch orientierten Dom-Stadt. Der Tourismus überollt hier alles. Keine Rücksichtnahme, kein Respekt, ICH zuerst. Wie war das noch gleich mit der christlichen Nächstenliebe, auch und vor Allem in Corona-Zeiten ? Im Zweifel um der hier im Beitrag hervorgehobenen Gemeinschaft auf dem Jakobsweg, freue ich mich für jede Seele, der dieser Weg ein glückliches Gefühl gebracht hat (braucht’s nicht immer DIE Erfahrung, Erleuchtung… ) Mein Mann hatte heute den Wunsch geäußert, den Weg zu pilgern. So kam ich auf diese Seite. Ich bin gläubig, aber kaum Kirchengänger (da suche ich verzweifelt… Glaube ist m.E. nicht gleich Kirche). Ich habe Katechese ausbilden dürfen und die „Oberen“ kennengelernt. Das hat mich dahingehend im Glauben nachhaltig traurig gestimmt. In diesem Sinne… danke nochmals für Ihren Beitrag und für Ihre Zeit, meinen Kommentar dazu zu lesen. Wenn wir den Weg pilgern sollten: definitv ohne Stempel